„Von der Linie, der Farbe, der Natur und den Gegensätzen“

Text: Brigitta Höpler zu Klaudia Stöckl

 

Linien sind das Gestaltungselement der Zeichnung, aber auch der Zeichen, der Buchstaben, der Schrift. Linien sind etwas sehr unmittelbares. Sie drücken immer Bewegung der Hand mit einem Stift oder Pinsel aus, und sind auch Ausdruck einer Gemütsbewegung.

Sie geben einem Gefühl, einer Erinnerung, einer Ahnung, einer Eingebung ungeschützt ihren Ausdruck.  

 

Mich erinnern Linien auch an die feinen Fäden, die durch Verbindung mit einem Gegenüber, entstehen. Bei Klaudia Stöckls Herangehensweise an die Zeichnung, an die Malerei, habe ich das Gefühl, sie verbindet sich mit der Landschaft, mit Orten und später im Atelier mit ihren Bildern. Feine Fäden laufen hin und her und finden ihren Ausdruck auf dem Papier, auf der Leinwand. Linien zerteilen oder strukturieren den Bildraum, werden gezogen, eingeritzt, verlieren oder verdichten sich.

 

In ihren Skizzen wird die Empfindung und Wahrnehmung einer Landschaft ganz unmittelbar umgesetzt, sie entstehen vor Ort, in der Landschaft, auf kleinen Blättern. Der Augenblick des Da-Seins findet seine Entsprechung auf dem Papier, formt sich in Linien und Farben.

Jede Skizze, jedes Blatt, jedes Bild findet zusätzlich seinen Platz im inneren Bildspeicher der Künstlerin. 

 

In ihrem Blick auf die Landschaft sind alle gemalten und ungemalten Bilder enthalten, jedes Bild enthält in gewisser Weise  auch alle vorigen und trägt schon den Keim des nächsten in sich, so entsteht das, was man als „Werk“ bezeichnet, die zusammenhängende Summe der einzelnen Arbeiten

 

In der Farbe kommt die Sinnlichkeit der Malerei zum Ausdruck, sie lässt uns Hitze, Kälte und den Geruch einer Landschaft spüren. 

 

 Als Einladungssujet hat die Künstlerin das Bild „Terra rot“   gewählt,. Die dominierenden Farben der Ausstellung klingen an in diesem Bild: schwarz - rot - weiß. Wenn diese drei kraftvollen, magischen Urfarben im Mythos gemeinsam auftreten, scheinen ihre Träger gegen alles Böse geschützt zu sein, man denke an Schneewittchen „weiß wie Schnee, rot wie Blut und schwarz wie Ebenholz“. 

 

Rot ist eine Farbe, die „etwas von der unbezähmbaren brodelnden Lava eines Vulkans behalten hat, ob wir das nun bewusst wahrnehmen oder nicht“ schreibt Margarethe Bruns in ihrem Buch „Das Rätsel Farbe“. 

(Margarete Bruns, Das Rätsel Farbe, Materie und Mythos, 2001, Reclam, Stuttgart 2001.)

 

Weiß, zwischen Farbe, „Nicht-Farbe“ und Licht, das Weiß des Mondes, des Schnees, der Wolken, die Farbe wechselnder Erscheinungsformen, die Farbe der Stille und der Transzendenz. 

 

Im Schwarz spüren wir die Angst vor äußerer und innerer Finsternis, viele negative Assoziationen begleiten diese Farbe, die im Aufheben der Gegensätze viel Klarheit und Freiheit in sich trägt. Der französische Maler Pierre Soulages spricht vom „Verzicht auf die Gesprächigkeit der Farbe“. (Margarete Bruns, Das Rätsel Farbe, Materie und Mythos, 2001, Reclam, Stuttgart 2001) Weit entfernt von Schwermut lotet Klaudia Stöckl diese Dimensionen der Farbe Schwarz aus. 

 

 Für die großformatigen Pigmentbilder reduziert sie ihre Farbpalette auf wenige Töne und verbündet sich mit den Farben und ihrer Wirkung. In Schichten lässt sie einen Farbraum entstehen, die in jedem Betrachter, jede Betrachterin andere Empfindungen auslöst.  

Ausgangspunkt für Klaudia ist die Natur, sie lebt auf einem Vierkanthof in Österreich, umgeben von hügeliger Landschaft, Weite, Himmel. Aufmerksam für den Rhythmus der Tages- und Jahreszeiten, das Helle, das Dunkle, die Fülle, die Reduktion. 

In ihren Skizzen und Kohlezeichnungen ist das Motiv  gut zu erkennen: Gräser, Bäume, Hügel, … von Linien geformt. Die Bildtitel „wie ein Wald“, „wie Bäume“, .. benennen für mich den im Malprozess zurückgelegten Weg in die Abstraktion entlang einer Grenze zwischen Zeigen und Verbergen. 

 

Innere und äußere Landschaften sind miteinander verwoben, in der Künstlerin sind unzählige Bilder abgespeichert, aus denen sie im Augenblick der Eingebung, im Augenblick der Bildkomposition schöpft. 

 

„Komposition ist ein absolutes Geheimnis. Sie wird vom Inneren diktiert. Der Künstler sucht nach bestimmten Klängen oder Linien, die seinen Inneren angenehm erscheinen. Schließlich nach einer Anordnung, die angenehm ist. … Manche Kompositionen sprechen diesen an und manche jenen. Doch wenn sie im Inneren des Künstlers keinen Anklang finden, werden sie niemanden ansprechen. Komposition und Anklang im Inneren sind wesentlich für das Kunstwerk.“ (Agnes Martin, Writings/Schriften)) Agnes Martin, Writings/Schriften, Cantz-Verlag, Ostfildern, 1991)

 

Eindrücke finden ihren Ausdruck auf dem Papier, auf der Leinwand. Klaudia Stöckl trägt Schicht für Schicht  auf, lässt Farben rinnen, übermalt, kratzt Spuren ins Bild, wild und expressiv. 

Die eine Seite der Natur – das Wort in doppelter Bedeutung genommen – auch der Natur der Künstlerin selbst. Die andere Seite ist die Stille, die Ruhe. In der Farbe Weiß, aber auch in der Farbe Schwarz. 

  „Die Welt ruht in der Nacht. Bäume, Berge, Felder und Gesichter werden vom Gefängnis der Form und von der Bürde des Preisgegebenseins befreit. Jegliches Ding zieht sich in der Geborgenheit des Dunkels in seine eigene Natur zurück“.  ( John O'Donohue, Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit, DTV, München 1997)

 

In der Dunkelheit verlieren die Dinge und Landschaften nach und nach ihre Konturen und Formen, sind aber dennoch anwesend. So ähnlich empfinde ich die Farbe Schwarz bei Klaudia Stöckl. 

 Gesehenes, Empfundenes, Erlebtes klingt nach, formt sich in Farben auf dem Papier, in Ruhe und Stille. Terra incognita, die weißen Bilder, die Schriftbilder, „wie ein Gebet“, aus einer Meditation heraus entstanden. 

Scheinbare Gegensätze, das Zarte und das Wilde, das Helle und das Dunkle, das Intuitive und das Geplante.

  

Die Malerin zeigt in ihren Bildern viel von sich, jedes Kunstwerk ist eine Einladung an den Betrachter, die Betrachterin, darauf einzulassen, sich berühren zu lassen. Jeder reagiert anders auf ein Kunstwerk. Der Glücksfall ist ein Moment der Berührung, der Eingebung, der Verbindung. 

 

 

 

 




“On line, color, nature, and opposites.” 

Brigitta Hoepler about Klaudia Stöckl


  • Lines are the formal elements of drawing, but also of symbols, letters, and writing. Lines are something very immediate. They always express the movement of the hand holding a pen or brush, and are also an expression of an emotional gesture. They give unguarded expression to a feeling, a memory, a notion, an inspiration. 

Lines also remind me of the fine threads formed by a connection to another person.


In Klaudia Stöckl’s approach to drawing, to painting, I have the feeling that she connects with the landscape, with places, and later in the studio, with her pictures. Fine threads run back and forth and find expression on the paper, on the canvas. Lines divide or pattern pictorial space, are drawn, etched, lose sight of one another or come together. In her sketches, the sensation and perception of a landscape are rendered directly, they evolve on site, in the landscape, on small leaves of paper. The moment of being there takes expression on paper, forming in lines and colors. Each drawing, every leaf, every image, also finds its own place in the artist’s internal image memory. 

All painted and unpainted pictures are contained in her view of the landscape; in a certain way, each picture contains all those before it, and already carries within it the germ of the next. This is how what is characterized as a “work of art” comes about, the interconnected sum of individual pieces. The sensuality of painting expresses itself in color; it makes us sense the landscape’s warmth, coolness, and aroma. 

The artist chose the painting Terra rot as the image for the invitation. The dominant colors of the exhibition resonate within this image: black - red - white. Whenever these three powerful, magical, primal colors appear together in mythology, their bearers seem to be protected from all evil; think of Snow White, “white as snow, red as blood, and black as ebony”. 

Red is a color that “has retained some of the irrepressible bubbling lava of a volcano, regardless of whether we consciously perceive it,” writes Margaret Bruns in her book, The Mystery of Color.1 

White, between colors, a “non-color”, light; the white of the moon, snow, clouds; the color of changing manifestations, the color of tranquility and transcendence. 

In black, we sense the fear of outer and inner darkness. This color is accompanied by a multitude of negative associations, which, by cancelling out all opposites, carries within it a great deal clarity and freedom. French painter Pierre Soulages speaks of “rejecting the verbosity of color”. Klaudia Stöckl plumbs the depths of the color black, far removed from melancholy. 


For the large-scale, pigmented images, she limits her palette to just a few colors, joining together with the colors and their effects. Layer by layer, she creates a color space that triggers different sensations in each observer. 


Klaudia’s starting point is Nature: she lives in a traditional four-sided farmhouse in Lower Austria, surrounded by rolling countryside, open space, and sky. She is mindful of the rhythms of the passing days and seasons, the light, the dark, abundance, and scarcity. The subjects of her sketches and charcoal drawings are clearly visible: grasses, trees, hills... all formed by lines. For me, the titles, Like a Forest, Like Trees, etc., denominate the path the painting process takes back into abstraction, hovering along the border between revealing and concealing. 

Interior and exterior landscapes are woven together; countless images are stored within the artist, which she then draws upon in a moment of inspiration, a moment of creative composition. 


“Composition is an absolute mystery. It is dictated from within. The artist searches for specific tones or lines that seem to please him or her inside. Ultimately seeking an arrangement that is pleasing. ... Some compositions will speak to some people, some to others. But if they do not resonate within the artist, they will appeal to no one. Composition and a response from within are essential to the work of art.”2 


1 Margarete Bruns, Das Rätsel Farbe, Materie und Mythos (The Mystery of Color, Matter, and Myth), 2001, Reclam, Stuttgart ,2001. 

2 Agnes Martin, Writings/Schriften, Cantz-Verlag, Ostfildern, 1991.


Impressions find their expression on the paper, on the canvas. Klaudia puts down layer after layer, look at the top, she lets colors drip, paints them over, scratches into the picture, is wild and expressive. 

The one side of nature – in the dual sense of the word – is also the nature of the artist herself; the other side is silence, and peace. Painted in white, but also painted in black. 

“During the night, the world rests. Trees, mountains, fields, and faces are liberated from the prison of form and from the burden of abandonment. Under the cover of darkness, every thing withdraws itself back into its own nature.” (John O'Donohue)3 

In the darkness, things and landscapes gradually lose their contours and shapes, yet are still present. This is similar to the way I percieve the color black as used by Klaudia Stöckl. 

Things seen, perceived, and experienced linger on, take form in colors on the paper, in stillness and quiet. Terra incognita, the white images, the text paintings, “like a prayer”, emerging from meditation. 

Apparent opposites, the gentle and the wild, the light and the dark, the intuitive and the planned. 

The artist reveals much of herself through her paintings; each work of art is an invitation to the viewers to allow themselves to be touched. Each person responds differently to a work of art. A moment of contact, of inspiration, of connection, is a stroke of luck. 


3 John O'Donohue, Anam Cara, Das Buch der keltischen Weisheit (The Book of Celtic Writings), DTV, Munich, 1997.